Pelzer, Dave - Sie nannten mich Es

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16 Mai 2011 21:12 #1 von goat
Autor: Pelzer, Dave
Titel: Sie nannten mich "Es"
Originaltitel: A child called "It"
Verlag: Goldmann Verlag
Erschienen: 1. Mai 2000
ISBN-13: 978-3442150557
Seiten: 160
Einband: Taschenbuch
Serie: Band 1
Preis: 7,00 €

Autorenportrait:

Dave J. Pelzer, hat sich die Bekämpfung von Kindesmisshandlung unter dem Motto »Hilfe zur Selbsthilfe« zur Lebensaufgabe gemacht. Seit Beendigung seines Dienstes bei der U.S. Air Force unterstützt er die Arbeit verschiedener Kinderschutzorganisationen. Nicht zuletzt durch das detaillierte Offenlegen der eigenen Erfahrungen leistet er einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung für dieses Thema in der ganzen Welt. Dave Palzer lebt mit seiner Frau Marsha, seinem Sohn Stephen und Schildkröte Chuck in Südkalifornien.

Quelle: Verlagsseite

Inhaltsangabe:

Das Trauma einer Kindheit: Dave wird von der eigenen Mutter gequält und mißhandelt. Von blauen Flecken übersät und halb verhungert, fällt der Junge auf, weil er Mitschülern das Pausenbrot stiehlt. Bis seine Lehrer es wagen, gegen die Mutter einzuschreiten, vergehen Jahre. Es gelingt ihm, sich aus der Hölle zu befreien. Ein erschütternder Bericht, geschildert aus der Perspektive des kleinen Jungen, der uns alle mit der Frage konfrontiert, wie lange man die Augen vor elterlicher Gewalt verschließen darf.

Quelle: Verlagsseite

Meine Meinung

Das Cover mit dem Jungen, der sich an einem Felsen abstützt, erweckt den Anschein, dass der Junge vom diesem Felsen fast überrollt wird und versucht, diesen mit aller Kraft von sich weg zu drücken. Nach Beenden des Buches hat sich dieser Eindruck bei mir noch verstärkt.

Durch diverse Gespräche mit Leuten, die das Buch schon gelesen hatten, bin ich überhaupt erst auf die Autobiographie von Dave Pelzer aufmerksam geworden. Da das Buch schwer verdauliche Kost ist, habe ich es erst einmal auf meine Wunschliste gesetzt und bekam jetzt die Gelegenheit, es mir auszuleihen.

Das Buch umfasst 157 Seiten. Trotz der Tatsache, dass es nur so wenige Seiten sind, habe ich mit einem Tag sehr lange daran gelesen. Das lag daran, dass ich es zwischendurch immer wieder aus der Hand legen musste, weil die Beschreibung der Gewalttaten sehr an die Substanz gehen.

Als Erwachsener findet Dave Pelzer endlich den Mut über das zu schreiben, was leider hinter noch zu vielen verschlossen Türen passiert – ein Thema, was auch in der heutigen Zeit noch zu oft totgeschwiegen wird – Kindesmisshandlung! Er schildert seine Kindheit zwischen dem 4. und dem 12. Lebensjahr aus der Sicht des Kindes, das er damals war.

In den ersten Jahren wächst Dave wie viele andere kleine Kinder in einer glücklichen Familie auf. Eine Mutter, die sich rührend um ihre Kinder kümmert, viel mit ihnen lacht und spielt. Dave selber schreibt dazu: „Meine zwei Brüder und ich waren mit perfekten, äußerst liebevollen und fürsorglichen Eltern gesegnet.“ Daves Vater Stephen Joseph ist mit Leib und Seele Feuerwehrmann in San Francisco. Für Dave ist er ein Held und er fühlt sich als etwas Besonderes, wenn sein Vater ihn liebevoll „Tiger“ nennt. Seine Mutter, Catherine Roerva, beschreibt Dave als eine Frau, die viel Liebe ausstrahlt, vor Ideen übersprudelt, ein absoluter Putzteufel ist und mit Vorliebe exotische Mahlzeiten kreiert, um ihren Mann zu überraschen, wenn er von der Arbeit kommt. Eine Erinnerung, die Dave sein ganzes Leben lang bewahrt, ist die Erinnerung an den gemeinsamen Urlaub am Russian River. Er schreibt, dass jeder Tag wie ein Abenteuer war und seine Mutter ihm in dem Jahr das Rückenschwimmen beibrachte. „Ich habe mich nie wieder so sicher und so geborgen gefühlt wie in diesem Augenblick am Russian River.“

Doch kurz danach verändert sich Daves Mutter. Während ihr Mann auf der Arbeit ist, liegt sie den ganzen Tag im Bademantel auf dem Sofa und sieht fern. Dabei greift sie immer öfter zum Drink. Die Stimme der einst so fürsorglichen Mutter, verwandelt sich in die einer Hexe, die ihre Kinder permanent anschreit. Dave trifft es dabei am Schlimmsten. Die zunächst nur verbal ausgeführten Attacken gehen über in körperliche Gewalt. Sie zwingt ihren Sohn immer wieder mit der Nase an einen Spiegel gedrückt, an der Wand zu stehen, verteilt wahllos Ohrfeigen und lässt Dave nach irgendwelchen Dingen suchen, ohne überhaupt zu sagen, nach was er suchen soll. Die Frage, nach was er suchen soll, stellt er nur einmal, denn sie endet mit einer blutigen Nase.

Die Misshandlungen nehmen mit der Zeit immer mehr zu. Je mehr Catherine trinkt, umso weniger Gefühl bleibt übrig. In der Ehe kriselt es und der Vater ist nicht stark genug, sich für seinen Sohn einzusetzen. Er duldet, dass Dave gedemütigt und geschlagen wird. Mittlerweile wird selbst Daves Name nicht mehr genannt – die Rede ist immer nur von dem Kind und zum Schluss ist Dave nur noch ES. Seine Mutter zwingt ihn, das ganze Haus zu putzen, Salmiakgeist zu schlucken und verbietet ihm das Essen. Selbst als Dave so abgemagert ist, dass er im Müll nach Essensresten sucht und er in der Schule das Pausenbrot der Mitschüler stiehlt, greift niemand ein. Zwei Jahre lang schickt ihn seine Mutter mit den gleichen Klamotten in die Schule. Niemand mag neben ihm sitzen und er wird von allen verspottet.

Daves Vater ist zu schwach, etwas an der Situation zu ändern. Er rettet täglich so viele Menschenleben, aber seinem eigenen Sohn vermag er nicht zu helfen. Seine ganze Schwäche zeigt sich, als er seine Sachen packt und sagt: „Ich kann es nicht mehr ertragen. Das Ganze. Deine Mutter, dieses Haus, dich. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen. Es tut mir leid.“ Das einzige, was Dave in dem Moment noch denken kann, ist: Wo ist mein Held hin? Was ist mit ihm geschehen?

Ich habe das Buch immer wieder zur Seite legen müssen und hab mich dann gefragt, warum niemand eher eingegriffen hat. Warum ein Mensch wie Daves Vater so schwach sein kann, zu akzeptieren, was seine Frau diesem Kind antut. Und vor allen Dingen, wie Dave es geschafft hat, noch so liebevoll von der Zeit vor den Misshandlungen zu erzählen. In diesem Buch stehen so viele Dinge, die mein Verstand gar nicht erfassen und begreifen konnte, weil ich mir nur schwer vorstellen kann, wie viel Brutalität und Hass in einer Mutter stecken kann. Ich glaube, ich habe während des Lesens immer nur ungläubig mit dem Kopf geschüttelt.

In diesem Fall ist es schlecht, ein abschließendes Fazit zu geben. Was schreibt man in so einem Fall? Unbedingt lesen? Guter Schreibstil? Spannende Story? Auch eine Empfehlung mag ich nicht aussprechen. Das alles ist in diesem Fall irgendwie unpassend, denn der Inhalt spricht wohl am ehesten für sich. Ich kann nur den Menschen ganz dringend abraten, das Buch zu lesen, die Probleme haben, diese geballte Ladung Gewalt zu verarbeiten. Dieses Buch beschäftigt mich auch lange Zeit nach dem Lesen noch und ich kann nur hoffen, dass ganz viele Misshandlungen ans Tageslicht gebracht werden und jeder Mensch etwas aufmerksamer seinen Mitmenschen gegenüber ist.

:*****:

Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig.

Ernst Reinhold Hauschka

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