Nesbø, Jo - Die Larve (9. Band der Harry Hole-Reihe)

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23 Dez. 2011 16:56 #1 von goat
Autor: Nesbø, Jo
Titel: Die Larve
Originaltitel: Gjenferd
Verlag: Ullstein Hardcover
Erschienen: 4. Oktober 2011
ISBN-13: 978-3550088735
Seiten: 576
Einband: Gebundene Ausgabe
Serie: 9. Band der Harry Hole-Reihe
Preis: 21,99 €

Autorenportrait:

Jo Nesbø, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Jo Nesbø lebt in Oslo.

Quelle: Klappentext


Inhaltsangabe:

Harry Hole ist endgültig aus dem Polizeidienst ausgestiegen und lebt in Hongkong. Doch dann erreicht ihn ein Alarmruf: Oleg, der Sohn seiner großen Liebe Rakel, sitzt im Gefängnis. Angeklagt wegen Mordes an einem Freund. Sämtliche Indizien deuten darauf hin, dass Oleg tatsächlich der Täter ist. Harry Hole glaubt nicht an diese einfache Lösung. Er kehrt nach Oslo zurück, um den wahren Mörder zu finden – und muss sich seiner eigenen Vergangenheit stellen.

Quelle: Klappentext


Meine Meinung:

Ich kann es selbst kaum glauben. Dies ist zwar nicht mein erster Nesbø, aber mein erster Hole. Und entgegen einigen Unkenrufen, dieser Band würde Einsteiger in die Serie davon abhalten, die Vorgängerbände zu lesen, kann ich für mich behaupten: Dem ist nicht so. Jetzt erst recht!!!

Erscheinungsbild des Buches:

Bereits Band 7 und 8 aus der Reihe waren äußerlich ähnlich gestaltet. Wenn ich im Buchladen an den Bänden vorbeiging, hat es mich immer dazu verleitet, die Bücher in die Hand zu nehmen und zumindest den Klappentext zu lesen. Was mich bis jetzt davon abgehalten hat, ist die Tatsache, dass ich die ganzen Vorgänger nicht kenne – auch wenn ich vom Antihelden Harry Hole in Leseproben immer ganz angetan war. Dass ich jetzt doch mit diesem Band eingestiegen bin, liegt daran, dass ich das Buch gewonnen habe. Wie schon bei den beiden Vorgängerbänden ist dieses Cover wieder in einem weißen Farbton gehalten. Farblicher Akzent, neben dem Autorennamen und dem Buchtitel, ist eine dem Buchtitel angepasste Abbildung. In diesem Fall ist aus der Larve allerdings schon ein schöner Schmetterling geworden (den man allerdings nur zur Hälfte sehen kann). Für mich ist der Zweck eines guten Covers hiermit schon erfüllt. Dezent aber aussagekräftig.

Die 563 Seiten des Hardcovers sind in 44 Kapitel unterteilt. Die Schrift würde ich schon als groß bezeichnen – auf jeden Fall sehr angenehm zu lesen. Ein Lesebändchen ist leider nicht vorhanden, dafür ist im Anhang aber eine Liste mit den einzelnen Titeln der Harry Hole Reihe in chronologischer Reihenfolge. Da könnte sich manch anderer Verlag eine Scheibe abschneiden. Noch hilfreicher wäre es allerdings, die Liste an den Anfang des Buches zu setzen, für die Leser, die nicht wissen, dass es sich hier um eine Reihe handelt.

Der Inhalt mit meinen Worten:

Dieser Fall ist wohl sein persönlichster, wenn ich das so einschätzen kann. Nach einer dreijährigen Auszeit in Hongkong muss Harry wieder nach Oslo zurückkehren. Zwar hat er der Polizei nach dem letzten Fall den Rücken gekehrt, die Tatsache jedoch, dass ein junger Drogendealer erschossen in seiner Wohnung aufgefunden wird, zwingt ihn, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Für die Polizei ist der Fall zwar abgeschlossen, für Harry jedoch nicht, weil der angebliche Täter niemand Geringerer ist als Oleg, der Sohn von Harrys großer Liebe Rakel, die er trotz seines dreijährigen Rückzugs nie vergessen konnte.

Für Harry steht außer Frage, dass sein „Stiefsohn“ ein Mörder sein soll. Doch alleine die Tatsache, dass Oleg mit dem ermordeten Gusto befreundet war, wirft kein gutes Licht auf ihn. Die Auszeit, die Harry sich genommen hat, hat anscheinend gegen ihn gearbeitet, denn aus Oleg, zu dem er immer ein sehr inniges Verhältnis hatte, ist ein abgestumpfter Junkie geworden. Der nun fehlende Zugang zu dem Jungen erschwert es Harry, dessen Unschuld zu beweisen. Dieser behauptet felsenfest, sich an nichts erinnern zu können, da er an dem Tag unter Drogen stand. Doch Harry ist davon überzeugt, dass Oleg lügt …

Sehr schnell muss Harry erkennen, dass er wirklich niemandem trauen kann, denn selbst unter den Kollegen bei der Polizei scheint es einen Maulwurf zu geben und Harry, der seine Nase zu tief in das Drogenmilieu Oslos steckt, spielt mehr als einmal mit seinem Leben. Einer der größten Drogenbosse Oslos hat die Jagd auf Harry eröffnet.

Information an Quereinsteiger der Harry Hole-Reihe:

Die Befürchtung, diesen Band nicht zu verstehen, weil mir die Informationen aus den Vorgängerbänden fehlen, hat sich nicht bestätigt. Dieser Band ist eine ganz eigenständige Geschichte, die auch ohne Vorwissen gelesen werden kann. Allerdings erfolgen immer wieder Anspielungen auf vorherige Fälle, die mich so neugierig gemacht haben, dass ich die anderen Bücher auch noch unbedingt lesen muss. Wie in vielen Fällen gilt: Die Protagonisten entwickeln sich weiter und es wäre IMMER besser, eine Reihe auch mit dem ersten Band zu beginnen. Denn gerade die Entwicklung einzelner Figuren ist interessant zu verfolgen. Deswegen hier noch einmal die chronologische Reihenfolge der Bände:

Reihenfolge der Harry Hole-Reihe:

1. Der Fledermausmann
2. Kakerlaken
3. Rotkehlchen
4. Die Fährte
5. Das fünfte Zeichen
6. Der Erlöser
7. Schneemann
8. Leopard
9. Die Larve

Meine Meinung und Interpretation zum Protagonisten:

Mein erster Eindruck von Harry Hole: Ein sehr erfolgreicher Loser – der Antiheld schlechthin und eine perfekte Mischung aus Schimanski und John McLane. Mir kam als Vergleich sofort John McLane in den Sinn, weil Bruce Willis in den „Stirb langsam“ Filmen, der immer aussieht, wie tagelang durch den Fleischwolf gedreht, aber immer noch fit genug, um die Welt zu retten. Der Versuch Harry Holes, sich selbst zu retten, ist allerdings ein schier unmögliches und nicht enden wollendes Unterfangen, was ich selbst nach einem einzigen Band schon gemerkt habe. Ein (fast) trockener Alkoholiker mit einem theatralischen Hang, sich in die falsche Frau zu verlieben, die er nicht haben kann - oder war es doch eher die richtige Frau und der falsche Mann? Fakt ist jedenfalls, dass Harry Hole sich bei allem, was er tut, selbst im Weg steht. Sein größter Gegner: Seine eigenen Gefühle, die zu zeigen natürlich nicht angemessen wären. Er ist der geborene Einzelkämpfer und was er anfasst, gelingt ihm garantiert erst, nachdem ein völliges Chaos ausgebrochen oder eine Atombombe hochgegangen ist. Ok, ich neige manchmal zu Übertreibungen – aber ihr müsst zugeben: Jemand, der sich eine Wunde selbst näht, ist schon eine verdammt harte und coole Sau. Kurz und gut: Ich mag ihn. Harry Hole hat einen neuen Fan dazugewonnen.

Wie mir das Buch gefallen hat:

„Die Larve“ war für mich das Krimihighlight dieses Jahres. Auch wenn es „nur“ ein Krimi ist, es das Buch, was mich emotional am meisten berührt hat. Die Stunden, die ich mit dieser Lektüre verbracht habe, kann ich am besten mit einer Achterbahnfahrt beschreiben. Die Spannung hat mich fast umgehauen. Dem Autor ist es alleine durch die ganzen Wendungen, die es in diesem Fall gibt, hervorragend gelungen, mich zu fesseln. Die teilweise doch recht nüchternen und sehr ausführlichen Beschreibungen der Drogenszene haben mich zu keiner Zeit gelangweilt – im Gegenteil: Sie lasen sich, so wie es sich gehört, wie in einem spannenden Krimi. Auch die detailliert beschriebenen Folterszenen haben bei mir für eine Gänsehaut gesorgt.

Es gibt in diesem Buch mehrere Erzählstränge und völlig verrückt ist, dass auch aus der Sicht einer Rattenmutter „erzählt“ wird, die sich vor der schier unlösbaren Aufgabe sieht, an das Nest ihrer vor Hunger schreienden Jungen zu kommen. Der Eingang wird jedoch versperrt durch den Körper des sterbenden Gustos. Da hilft wohl nur eins: Augen zu und DURCH! Nähere Erläuterungen dazu erspare ich den Lesern meines Berichts allerdings. Und zwischendurch verlässt auch der Autor sich auf die ausgeprägte Fantasie seiner Leser. Die in dem Buch kursiv gedruckten Passagen sind aus der Sicht des sterbenden Gustos geschrieben. Durch seine Gedanken erfährt der Leser so einiges, was weder die Polizei noch Harry Hole ermitteln konnte.

Jo Nesbø hat ein sehr brisantes Thema aufgegriffen. Der Ausflug ins Drogenmilieu ist schonungslos brutal. Aber dank der sehr guten Recherche des Autors auch sehr real. Seine Droge „Violin“ hingegen, in der es in diesem Buch geht, ist rein fiktiv. Was auch ein sehr aktuelles Thema ist und leider nicht der Fantasie des Autors entsprungen: die Korruption unter den Polizisten. Das macht die ganze Sache noch etwas hoffnungsloser und deprimierender.

Wenn ich sage, dass ich das Lesen dieses Buches mit einer Achterbahnfahrt vergleiche, ist es nicht nur die Spannung, mit der ich beschäftigt bin. Dieser Roman ging mir sehr an die Substanz und hat mich teilweise richtig runtergezogen. Was ich aber beim Lesen als positiv betrachte, weil der Autor mich mit seiner Geschichte erreicht und ich nicht einfach nur lese, sondern während des Lesens auch fühle. Es kommt nicht oft vor, dass ich zwischendurch immer wieder aufhöre zu lesen, um darüber nachzudenken und um das Ganze zu verarbeiten. Mehr als einmal habe ich anderen gegenüber betont, WIE gut ich diesen Krimi finde, so hat er mich begeistert. So lange, bis ich irgendwann an einer Stelle angekommen war (ich wüsste jetzt aber nicht mehr genau, welche Stelle das war), wo mir ernsthaft Zweifel kamen, ob ich das Buch noch gut finden soll. Das war dann wohl ein ungeplanter Looping in der Achterbahn.

Eigentlich habe ich mit meiner Rezension zu diesem Band viel zu lange gewartet. Aber es war irgendwie nicht machbar so schnell etwas darüber zu schreiben, weil es mich noch zu sehr gefangen gehalten hat und ich es erst einmal sacken lassen musste. Müsste ich es mit Gefühlen beschreiben, würde Folgendes dabei raus kommen:

Spannung, Empörung, Fassungslosigkeit, Wut, Enttäuschung, Verwirrung, Verwunderung, Trauer und Hoffnung?!

Umgehauen hat mich das für mich dann doch überraschende Ende. So viele mögliche Täter, die infrage kommen und dann war es doch tatsächlich …

… na, ich werde mich hüten, denn ihr sollt das Buch ja auch noch lesen.

Ich kann jedenfalls nur eine Empfehlung aussprechen und wünsche mir noch viele weitere Harry Hole-Bücher! Fünf Sterne für ganz großes Kopfkino!

:*****:

Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig.

Ernst Reinhold Hauschka

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